Romantische Bewegungen außerhalb Deutschlands (Anregungen)

„Grenzgänger":

Johannes Brahms (1833-1897):

=> Ungarische Tänze für Orchester

Die Originalfassungen für Klavier zu vier Händen erschienen 1869 (zwei Hefte) und 1880 (zwei weitere Hefte) und hatten einen beispiellosen Erfolg. Fast gleichzeitig erschienen diverse Bearbeitungen, zweihändig, für Violine und Klavier uns sehr bald auch für Orchester.

Zur Bedeutung von Tänzen, insbesondere des slawisch-ungarischen Kulturraumes. Auch Brahms hatte ungarische Volksmelodien gesammelt.

ggf. Exkurs: Zigeuner-Romantik, Zigeuner und Ungarn

Franz Liszt (1811-1886): Ungarische Rhapsodien, Nr. 1-6

Als Beispiel für wachsendes nationales Bewußtsein im 19. Jahrhundert und Interesse an der ungarischen Volksmusik, die Liszt über viele Jahrzehnte beschäftigte. Die Klavierfassungen der Rhapsodien Nr. 1 und 2.  gehen auf das Jahr 1851 zurück, doch bereits 1828 hatte Liszt zwei Sätze „im ungarischen Stil" geschrieben. 1850 erschien sein Buch über „Die Zigeuner und ihre Musik in Ungarn". Von Liszt existieren 19 Ungarische Rhapsodien für Klavier, davon hat er sechs für Orchester bearbeitet bzw. bearbeiten lassen. Sie wurden zu ausgeprochen populären Werken.

Fréderic Chopin (1810-1849)

Wirkungsorte ebenfalls international (Polen und Paris), Tänze; Hinweis auf Tänze und Walzer

Friedrich / Bedřich Smetana (1824-1884)

=>  Streichquartette Nr. 1 e-moll "Aus meinem Leben" (1876)

Das viersätzige Werk ist sozusagen eine musikalische Autobiographie des Künsters, in den ersten drei Sätzen werden Jugend und Erinnerungen an Kindheit, Tanz und erste Liebe geschildert. Im vierten Satz verarbeitet Smetana die drohende Tragödie der Taubheit: Der hohe Ton e der 1. Geige über dem tremulierenden d-e-ais-Akkord gibt den Tinnitus wieder, unter dem Smetana zu diesem Zeitpunkt litt.

[Beethoven war keineswegs der einzige Komponist, der unter zunehmender Schwerhörigkeit und Taubheit litt, auch Smetana und Gabriel Fauré waren betroffen!]

=> Ma Vlast (Mein Vaterland), sechsteiliger Zyklus:

1. Vyšehrad
(Burg und Felsen hoch über der Moldau, Bardengesang, Ruhm Vergangener Zeiten mit Turnieren und Schlachten, bis zum Verfall und Untergang...)

2. Vltava (Die Moldau)
(Der bekannteste Teil aus dem Zyklus, schildert den Lauf der Moldau von den ersten Quellen bis zur Mündung in die Elbe, z.T. Vergleiche zu Beethovens Pastorale)

3. Šárka
(hier keine Landschaftsdarstellung, sondern Geschichte des Mädchens Šárka, die die Treulosigkeit des Geliebten am ganzen männlichen Geschlecht rächt, sie und ihre Jungfrauen töten durch List die eigentlich überlegenen Krieger)

4. Z českých luhů a hájů (Aus Böhmens Hain und Flur)
(Allgemeine Beschreibung der Gefühle bei dem Anblick der böhmischen Landschaft, auch hier Vergleich zu Beethovens Pastorale)

5. Tábor
(Die böhmische Stadt Tábor spielte eine wesentliche Rolle als Hauptlager der (letztlich unterlegenen) Bewegung der Hussiten und für die Reformation in Böhmen. Die ganze Komposition ist aufgebaut auf dem Choral „Die ihr Gottes Kämpfer seid".)

6. Blaník
(Fortsetzung des vorausgegangenen Teils; nach der Niederlage nahmen die Helden der Hussiten Zuflucht in Blaník und warteten in tiefem Schlaf auf den Augenblick, in dem sie ihrem Land zu Hilfe kommen sollten. Die Melodie von „Die ihr Gottes Kämpfer seid" (als das hussitische Prinzip) bleibt Grundlage, auf der sich die Auferstehung und das zukünftige Glück der tschechischen Nation begründen wird. Durch diesen Hymnus, ähnlich einem Marsch, endet das Werk und so die Reihe der symphonischen Dichtungen. Religiöse und nationale Elemente werden (romantisch) miteinander verbunden. )

Text (deutsche Übersetzung) des Chorals:
Die ihr Gottes Streiter seid
und seiner Gebote,
erbittet Gottes Hilfe
und glaubt an ihn,
damit ihr endlich mit Gott siegen werdet.

(ggf. Vergleich zur Rolle von „Ein feste Burg ist unser Gott", das ebenfalls in die Symphonik Eingang gefunden hat.)

Literaturtipp:

  • Linda Maria Koldau, Die Moldau. Smetanas Zyklus »Mein Vaterland«, Köln, Weimar und Wien 2007

(Das Buch ist mehr als eine Werkeinführung, es schildert auch die Situation Smetanas im österreichisch-ungarischen Vielvölkerstaat der Donaumonarchie und als tschechischer Nationalkomponist, der natürlich als Friedrich Smetana deutschprachig aufgewachsen war und die „neue Muttersprache" erst lernen musste.)

Antonin Dvořák (1841-1904)

Die Slawischen Tänze op. 46 hatten Antonín Dvorák berühmt gemacht; es existieren von ihm auch Slawische Rhapsodien (Op. 45), er gilt als der wichtigste Nationalkomponist seiner Zeit und sein Schaffen umfasst nahezu alle musikalischen Gattungen von der Kammermusik bis zur Sinfonik und vom geistlichen Chorwerk bis zur Oper.

Hier: Dvořák als Liederkomponist (er hat mehr als neunzig Lieder für eine Singstimme und Klavier geschreiben, setze die Tradition Schuberts und Schumanns fort und bereicherte die Gattung. Hinzu kommen Lieder für eine Stimme und Orgel und zahlreiche Duette.

=>  Zigeunermelodien op. 55

=> Liebeslieder op. 83

=> Biblische Lieder op. 99

(ggf. zum Problem der Übersetzung wegen der engen Verbindung von Text und Vertonung, als Vergleich folgende Aufnahmen: (1) Deutsch, mit Peter Schreier (Aufnahme Dresden 1983, Capriccio); (2) Tschechisch, mit Bernarda Fink(Aufnahme Berlin 2003, Harmonia Mundi)

Peter Iljitsch Tschaikowskij (1840-1893)

=> Der Nussknacker (1892);

nach Fertigstellung der Ballett-Partitur am 25. Januar 1892 stellte Tschaikowskij eine Orchestersuite  aus dem Ballett zusammen, die die populärsten Sätze aus dem Gesamtwerk enthält. Diese Nussknacker-Suite op. 71a  wurde am 19. März 1892 unter seiner Leitung in St. Petersburg uraufgeführt; die Uraufführung des Balletts fand dort am 18. Dezember 1892 statt.

Die Handlung geht zurück auf die Erzählung „Nussknacker und Mäusekönig" von E. T. A. Hoffmann. Insofern ist das Werk ein Beleg für die Hoffmann-Rezeption im späteren 19. Jahrhundert.

hinweisen auf: Märchenstoff, Handlung in der Weihnachtsnacht, Tanzsätze, Besonderheiten der Instrumentation (z.B. Celesta), Komik und Groteske, Zauberstoff

=>  6. Symphonie op. 74 „Pathetique" (Tschaikowskijs letzte Symphonie), verbunden mit der Legendenbildung um den Tod des Komponisten

Sätze: 1. Adagio - Allegro non troppo.   2. Allegro con grazia.   3. Allegro molto vivace.   4. Finale: Adagio lamentoso

Edvard Hagerup Grieg (1843-1907)

Literaturtipps:

  • Ulrich Tadday (Hrsg.), Edvard Grieg (Musik-Konzepte, 127), München 2005
  • Hanspeter Krellmann, Edvard Grieg, Reinbek bei Hamburg 1999

kurz zur Biographie:
1843  Geburt in Bergen
1858-1862  nach musikalischer Grundausbildung durch die Mutter Studium am Leipziger Konservatorium
1863-1866  Studien bei Nils Gade in Kopenhagen; Begeisterung für die nationale norwegische Musik
1865/1866  erster Aufenthalt in Rom
1866-1869  als Dirigent der Philharmonischen Gesellschaft und Musikpädagoge in Kristiana (Oslo) tätig
1869/1879  Wieder inRom; Besuch bei Franz Liszt; mit J. Svendsen Gründung des Musikvereins Kristiania, dessen Chor er bis 1874 leitet
1874  Lebenszeitstipendium durch den norwegischen Staat
1876  Beginn fast jährlicher Tournees als Pianist und Dirigent
1885  Einzug in Troldhaugen bei Bergen (heute Museum und Forschungsstätte)
1889  Generalkontrakt mit dem Verlag C.F. Peters in Leipzig
1893/1906  Ehrendoktor der Universitäten Cambridge und Oxford
1898  Organisation des 1. Norwegischen Musikfestes in Bergen
1907  Nach letzten Konzerten in Prag, Amsterdam, London, München, Berlin und Kiel Tod in Bergen am 4. September

zwei Beispiele für Klavierstücke:
=> Improvisata over to norske folkeviser, op. 29(als Beispiel für Klavierimprovisation über norwegische Volkslieder, generell Bedeutung der Volkslieder für das Werk von Grieg)

=> Zwei lyrische Klavierstücke; daraus: „Einsamer Wanderer" op. 43 Nr. 2
(Wanderer als Topos der Romantik, Klavierstück mit literarischem Titel, wie ein Lied ohne Worte)

zwei Beispiele für Lieder mit Klavierbegleitung
=>  Zwei Lieder für Mezzosopran und Klavier; daraus „Ein Schwan" op. 25 Nr. 2 (H. Ibsen)
=>  Aus den Kinderliedern op. 61 für drei Frauenstimmen: Nr. 9 „Fischerweise"

Leoš Janáček (1854-1928)

Literaturtipp:

  • Meinhard Saremba, Leoš Janáček. Zeit - Leben - Werk -Wirkung, Kassel 2001

(Das Buch enthält eingangs eine Übersicht zu Biographie und Werk sowie jeweils Ereignissen in Politik, Geschichte, Wissenschaft, Musik, Kunst und Literatur!)

zur „Übersetzung" in die Sprache bzw. die Sprache des Volkes, Janáček als Panslawist:

Im Jahr 1896 besuchte Janáček zum ersten Mal Russland (St. Petersburg, Moskau, Nischni Nowgorod), eine zweite Reise erfolgte 1902. Er lernte Russisch, um Dostojewski und Tolstoi im Original lesen zu können.

Beispiele aus dem geistlichen Werk:

Hospodine! (Herr erbarme dich) für Solo-Quartett, gemischten Doppelchor, Orgel, Harfen und Blechbläser (1896)
Otče náš (Vaterunser). Kantate für Tenor, Chor und Klavier (1901)
Zdrávas Maria (Ave Maria) für Tenor, Chor und Orgel (1904)
Messe Es-Dur für Chor und Orgel (1907-08, unvollendet!)
cné evangelium (Das ewige Evangelium). Legende für Soli, Chor und Orchester (1914)
à Mša glagolskaja (Glagolitische Messe). Kantate für Soli, Chor, Orchester und Orgel (1926)

Der altslawische Text der Glagolitischen Messe ist entsprechend der Zeit der byzantinischen Missionare Cyril und Method stilisiert, die im Jahre 863 in das Großmährische Reich, das 833 entstand, kamen. Die Textfassung it aber orthodox-russisch gedacht. Die „Glagolica" ist die älteste Schrift, die noch vor der „Cyrilica" (der kyrillischen Schrift) in Byzanz für die Christianisierung der Slawen erfunden wurde, später aber nicht mehr geläufig war. Das Wort „glagolitisch" ist somit das Zeichen für den archaisch-orthodoxen Bezug des Werkes. Der Aufbau orientiert sich indessen an den gewohnten Teilen einer lateinischen Messe: Gospodi pomiluh = Kyrie, Slava = Gloria, Veřuju = Credo, Svet = Sanctus, Agneče Božih = Agnus Dei. Somit schafft die Originalsprache neben der Instrumentierung ein besonderes klangliches Kolorit. Eine Besonderheit ist der zyklische Aufbau (Monothematismus). Dem Werk wird ein Prolog vorausgestellt, dem nach dem Agnus Dei ein gestisch wildes Postludium der Orgel symmetrisch gegenübersteht. Generell kümmerte sich Janáček nicht darum, daß der orthodoxe Gottesdienst ohne Orgel auskommt und grundsätzlich nur Vokalmusik zulässt!

Das Werk ist somit ausgesprochen modern, gleichzeitig römisch-katholisch und trotzdem in langer slawischer Vorzeit verankert! Der Komponist schilderte Naturbilder, die ihm bei der Komposition der Messe vorschwebten, sein Tempels sei eher das Himmelsgewölbe.

ggf. erwähnen: Janáčeks Arbeiten über Volksmusik und Sprache und seine oft „romantischen"Werktitel z.B.:

Klavierzyklus "Po zarostlém chodnídcku (Auf verwachsenem Pfade), dessen einzelne Stücke ausgesprochen programmatsiche Überschriften tragen; die Klavierstücke "V mlhách" (Im Nebel) von 1812; der Adagio-Satz einer Klaviersonate trägt den Titel "Smrt" (Tod)

Beate Angelika Kraus

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