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„Messa di Gloria“ von Giacomo Puccini und „Gloria“ von John Rutter |
John Rutter, Gloria (1974)
Eine große Nähe zur Kirchenmusik hatten sie beide, John Rutter wie Giacomo Puccini. Letzterer stammte aus einer Familie von Kirchenmusikern, Rutter besuchte die renommierte Highgate Schule in London. Dort und dann an der Universität Cambridge am Clare College sang er im Kirchenchor. Während Puccini sich bald der Oper zuwandte, blieb Rutter der geistlichen Musik treu: er wurde Musikdirektor an seinem alten College und war der erste, der in seinem Kirchenchor Frauenstimmen einsetzte. Seine Kompositionen, zu denen neben dem ‚Gloria’ das ‚Requiem’ (1985), und das ‚Magnificat’ (1990) sowie Orgel- und Instrumentalmusik zählen, erreichen ein breites Publikum. Anlässlich der Hochzeit von Prinz William und Catherine Middleton in der Westminster Abbey im Jahre 2011 wurde eine Komposition nach dem 118. Psalm in Auftrag gegeben und bei der Zeremonie uraufgeführt. Auch bei den Chorsängern sind seine wirkungssicheren Werke, die auf der Basis der Tonalität Jazzmomente einbeziehen und durch differenzierte Klangmischungen bestechen, weithin beliebt. Das ‚Gloria’ wurde von einem Chorleiter in Auftrag gegeben: Mel Olson, der an der First United Methodist Church in Omaha (Nebraska) wirkte. Sein Ensemble, das heute ‚The Mastersingers’ heißt, widmete sich der geistlichen Musik.. Doch das ‚Gloria’ ist, ungeachtet seines liturgischen Textes (der zweite Satz des Messordinariums), für den Konzertsaal bestimmt, ähnlich wie das ‚Requiem’ von Giuseppe Verdi. Anders als dieses entspringt es keinem spezifischen Anlass, sondern einer religiös-musikalischen Grundhaltung von Komponist und Auftraggeber. Das macht ersterer deutlich, indem er zu Beginn die gregorianische Melodie des Gloria in excelsis zitiert.
Die Vertonung ist ähnlich wie eine Sinfonie in drei Sätze gegliedert: zwei schnelle Außensätze und ein ruhiger Mittelteil. Die Fassung für großes Orchester bietet eine weitere Dynamik und eine breitere Klangfarbepalette als die ebenfalls originale Blechbläserfassung. Mit dieser gemeinsam sind die vom Blech vorgetragenen wiederholten Kurzmotive, die mitunter Ostinato-Charakter annehmen, sowie jazzig synkopierte Bläserakkorde. Mit diesen beginnt der erste Satz, sie bleiben bestimmend und sorgen für Vereinheitlichung. Die Gloria-Melodie wird im Kanon durchgeführt, das zweite, traditionell ruhige Thema zum Text ‚Et in terra pax hominibus’ kontrastiert dazu im Gesang der Frauenstimmen, die um Frieden für die Welt bitten. Expressiv werden die Holzbläser und die Solotrompete eingesetzt, ebenso der Chor, immer wieder auch a capella. Am Schluss wird das Gloria wieder aufgenommen, Rufe des Chores und Fanfaren der Bläser schließen den Satz ab.
Im zweiten Satz dominieren Streicher und Holzbläser (Oboe) mit wiederholten gesanglichen Kurzmotiven. Langsam schreitend wird eine klangliche Steigerung mit fulminanten Bläserakkorden erreicht, auf die dann eine Pianissimoepisode mit instrumental geführtem Solosopran folgt; den verklingenden Chor umspielt die Soloflöte.
Der dritte Satz ist wieder schnell und rhythmisch, wiederum jazzig.. Zwei Themen werden aufgestellt, dann miteinander verwoben. Das ‚Cum sancto spiritu’ ist traditionell „im alten Stil“ als Fugato gestaltet, bevor ostinate Chorrufe und Fanfaren der Bläser wieder das Gloria anklingen lassen. Rutter nützt die Effekte, die sich aus dem großen Orchester mit profiliertem Schlagwerk ergeben, voll aus, er deckt die Bandbreite zwischen lautem, blechbläserbetontem Feierklang und ehrfurchtsvoller Verinnerlichung ab. Seine stilistischen Mittel umfassen mitreißend tänzerische Synkopen, Fanfaren, besinnliche Klänge und kontrapunktische Arbeit. So ist sein ‚Gloria’ eine modern klingende Wiederverlebendigung des alten Texts.
Giacomo Puccini, Messa As-Dur (genannt Messa di Gloria) (1880)
Die Puccini waren in Lucca das, was die Familie Bach in Thüringen war: die Musiker vom Dienst seit Generationen. Viele religiöse und politische Anlässen verlangten hier nach Musik: die Bruderschaft der heiligen Caecilia brauchte Vespern, Messen und ein Requiem für die verstorbenen Brüder. Zum Patronatsfest der Republik gab es Musik in der Kathedrale San Martino. Jedes zweite Jahr im Dezember wählte man den Magistrat, man spielte Oratorien und Serenaden für die Bühne. Die Puccini versorgten alle diese Feiern mit oft eigens komponierten Werken. Michele, der Vater unseres Komponisten, war, wie seine Väter, Organist an San Martino, dann Orgellehrer am Istituto Musicale, der städtischen Musikschule. Auch er komponierte für die offiziellen kirchlichen und staatlichen Festlichkeiten.
Giacomo sollte ebenfalls Organist und Maestro di Cappella an San Martino werden, sobald er alt genug war, die Pflichten auszuüben. Das Amt wurde ihm freigehalten, der Lebensweg schien vorgezeichnet. Er sang im Knabenchor der Kathedrale seit seinem zehnten Lebensjahr. Er war kein guter Schüler, auch am Istituto Musicale galt er als persönlich schwierig. Allerdings muss er schon früh den Chor auf der Orgel begleitet haben, denn er erhielt einen ersten Preis für Orgelspiel am Ende des Schuljahres 1874/75.
Neben der Erledigung der kirchlichen Aufgaben in Lucca spielte Puccini Orgel im bekannten Badeort Bagni di Lucca (Heine hat darüber geschrieben) und Klavier im Spielcasino. So erwarb er sich musikalische Praxis auf verschiedenen Gebieten. Sein Gesellenstück legt Zeugnis davon ab, es ist die ‚Messa a quattro voci’ in As-dur (veröffentlicht als ‚Messa di gloria’ 1951).
Die Entstehungsumstände liegen im Dunkeln. Ob sie ein Auftrag des Domkapitels von Lucca war, wissen wir nicht, es ist jedoch zu vermuten, denn der junge Giacomo hatte nicht nur oft Orgel gespielt, sondern auch eine Talentprobe in kleineren Kompositionen für die Liturgie geliefert. Er galt somit als würdiger zukünftiger Nachfolger seines Vaters. Ein Auftrag für eine feierliche Messe (Missa solemnis) war jedenfalls ein Ausdruck sehr hoher Erwartungen. Erschließen lässt sich, dass die Messe am Fest des Stadtheiligen Paulinus, am 12. Juli 1880, in der Kathedrale San Martino aufgeführt wurde. Danach geriet sie in Vergessenheit und erklang erst wieder im Jahre 1952, zuerst in Chicago (angeregt durch den Wiederentdecker Pater Dante del Fiorentino), dann, noch im gleichen Jahr, in Lucca. Es ist ein erstaunliches Werk für einen gut Zwanzigjährigen: groß dimensioniert, 45 Minuten lang, mit voller Beherrschung der kompositorischen Traditionen der italienischen Messe. Sie legt fest, dass bestimmte Stellen im „alten“ kontrapunktischen Stil, andere im „modernen“ Opernstil zu vertonen seien. Vorbilder waren geistliche Kompositionen von Gaetano Donizetti oder Gioacchino Rossini, aber auch von den vielen kleineren Meistern der Zeit. Die Messe ist ein Stück Gebrauchsmusik und keine Bekenntnismusik wie Beethovens ‚Missa solemnis’ – aber gute Gebrauchsmusik nach den Regeln der Kunst.
Das ‚Kyrie’ ist, wie üblich, dreiteilig: mit elegischen Anfangsteilen und einem vehement um Erbarmen flehenden Mittelteil. Puccini überrascht die Zuhörer, denn meist machte man es umgekehrt: Die Melodien (die erste wird Puccini in seiner zweiten Oper ‚Edgar’ wiederverwenden) sind schulmäßig kontrapunktisch imitierend durchgeführt. Das ‚Gloria’ ist weit dimensioniert, der längste Teil des Werkes, das deshalb bei der Veröffentlichung der Messe den Namen gab. Puccini gliedert es in vier Blöcke: „Gloria“, das Tenor-Solo „Gratias agimus“, das marschartige „Quoniam“ und, durch Fanfaren vorbereitet, das „Cum sancto spiritu“. Das „Gloria“ beginnt mit einer eingängigen fröhlichen Melodie, die Weihnachtliches assoziiert, denn zu Christi Geburt sangen die Engel diesen Gesang. „Laudamus te“ kommt offizieller und liturgischer daher, die Tenor-Arie „Gratias agimus“ lässt hingegen spätere Opernsoli voraus klingen. Die Melodie ist allerdings noch nicht puccini-typisch mit der fallenden Bewegung; der Höhepunkt, wo der Tenor brillant zum hohen b aufsteigt, allerdings schon: der bisher selbständige Orchesterpart ist in Oktavparallelen geführt, etwas, was Puccini zu seinem Markenzeichen machen wird und was viel nachgeahmt wurde. Auch das „Qui tollis“ hat opernhafte Züge, kontrastierend zum chorischen „Quoniam“, einer eher düster-effektvollen Szene. Das „Cum sancto spiritu“ ist, wie es die Tradition will, eine Fuge nach allen Regeln des Handwerks, aber Puccini geht über das Übliche mit einem satztechnischen Kunststück hinaus, wenn er die „Gloria“-Melodie vom Beginn als Kontrapunkt einführt. Sie beschließt dann auch triumphal den Satz.
Das „Credo“ hatte Puccini schon zwei Jahre vorher ebenfalls für das Fest des heiligen Paulinus geschrieben. Eine Tendenz zur Vereinheitlichung der Episoden ist hier ebenso deutlich wie im ‚Gloria’. Diesmal sind es fünf Blöcke: „Credo“, das „Et incarnatus“ mit Tenor-Solo, „Crucifixus“ für den Bariton, die Chorszene „Resurrexit“ und, wieder durch eine Fanfare eingeleitet, „Et vitam“, nicht, wie traditionell, eine Fuge, sondern ein bewegter Chorsatz. Das „Credo“-Thema steht im Kontrast zum fröhlichen „Gloria“ in c-Moll, es kehrt zu „Et in spiritum sanctum“ wieder, dazwischen entfalten sich die lyrischen Sätze „Incarnatus“ und „Crucifixus“. Das „Et resurrexit“ bleibt in Moll und führt zum erwähnten „Et in spiritum sanctum“. Die Erwartung des ewigen Lebens („Et expecto“) erhält eine naiv-fröhliche Melodik, es erzeugt die Vision einer Idylle.
Das „Sanctus“ ist knapp, denn im Ablauf der Liturgie ist wenig Raum dafür, das „Benedictus“ traditionell eingängig melodisch, hier, eher ungewohnt, dem Bariton und nicht, wie meist, einer hohen Stimme anvertraut.
Das ‚Agnus Dei’ muss dem Komponisten besonders lieb gewesen sein, denn er verwendet es später in seiner dritten Oper,‚Manon Lescaut’ (Uraufführung 1893), seinem ersten Welterfolg: Die Heldin hält Hof in dem luxuriösen Palais ihres Liebhabers Geronte, Musiker tragen ein schäferliches Madrigal vor: Verbindend mit dem ‚Agnus Dei’ ist die Metaphorik vom „Lamm“ Gottes. Die Transposition der geistlichen Musik in den weltlichen Rahmen zeigt, dass in beiden Bereichen ähnliche Affekte regieren, himmlische und irdische Liebe näher beieinander sind, als es strengen Glaubenswächtern gefällt. Puccinis ‚Messa di Gloria’ erreicht durch diese Nähe eine Unmittelbarkeit des Ausdrucks, die die Religion in das Leben der Menschen hineinstellt. Dazu gehören auch die vor allem den Hörern diesseits der Alpen problematischen, weil opernhaften Sätze „Gratias agimus“ und „Qui tollis“. Die Gefühle der Dankbarkeit im ersten, des Mitleidens mit Jesus, der sich opfert, im zweiten äußern sich in expressiven Gesangsstücken, die solchen auf der Bühne zum Verwechseln ähneln. Vergleichbares finden wir bei Rossini im ‚Stabat Mater’ („Cujus animam“), auch das ‚Requiem’ von Guiseppe Verdi kennt Stücke mit emotional-ausdrucksvoller Melodik („Hostias“, „Libera me, Domine“): subjektive Ergriffenheit äußert sich, die keinen Unterschied zwischen weltlicher und geistlicher Motivation kennt. Die liturgische Objektivität wird dann durch die Sätze im kontrapunktischen, „im alten Stil“, hergestellt. Neu ist bei Puccini vor allem die differenzierte Klanglichkeit, die schon in diesem Jugendwerk deutlich über die traditionelle Faktur hinausgeht. Er gibt seiner Musik bereits hier eine Vielfalt der harmonischen und instrumentellen Farben, die der „Seelendramaturgie“ seiner Opern entspricht.
Prof. Dr. Dr. Volker Mertens